Lieber Dami

Die Tat schockte die Schweiz: Am 1. Februar 2008 wurde der 22-jährige Student Damiano Tamagni während der Tessiner Fasnacht von drei Jugendlichen grundlos zu Tode geprügelt. Ein Jahr danach schreibt ihm sein Vater einen Brief.

Es ist nun ein Jahr vergangen, seitdem Du von uns gegangen bist, oder besser, seitdem sie Dich gegangen haben. Wie hat sich das Leben verändert: Meines, dasjenige Mamas, Deborahs und aller Verwandten und Freunde. Du hast uns eine furchtbare Leere hinterlassen. Du fehlst uns jeden Tag. Es scheint mir nicht wahr zu sein, was damals passiert ist. Mein Kopf weigert sich noch immer, ein derart schreckliches Geschehen zu akzeptieren. Leider bin ich mir aber bewusst, dass dies die Realität ist.

Es ist letztes Jahr passiert. Aber es scheint mir, als ob es gestern war, als ich mit einer Grippe im Bett lag und Du mir geholfen hast aufzustehen. Dann dieser Morgen des ersten Februars. Du bist bei Alberto vorbeigegangen, um bei ihm nach der Fasnacht von Bellin- zona zu übernachten. Du bist am späten Vormittag nach Hause gekommen. Bei mir hatte sich der Zustand ein wenig gebessert. Ich stand auf, ging ins Bad und schaute aus dem Fenster. Es war ein kalter und langweiliger Tag. Ich kann mich erinnern, dass ich mit Staunen einen grossen Vogel mit grünen Flügeln gesehen habe, als ob er von einem Vogelhaus entflohen sei. Nachdem er schlussendlich weggeflogen war, dachte ich nicht mehr an ihn.

Am Abend wären nur wir zwei zu Hause geblieben, ich wollte uns deshalb etwas zum Essen zubereiten. Weil ich aber im- mer noch etwas Fieber hatte, wolltest Du nicht bleiben, um mir keine Umstände zu machen. So bist Du zu Grossmutter essen gegangen, die Dich in der Zwischenzeit eingeladen hatte. Ich lag auf dem Sofa, als Du aus der Türe gegangen bist und Du mir zuriefst: «Ciao, Papi, ich gehe zu Grossmut- ter und gehe dann nach Locarno« und ich antwortete: «Ist gut, ruf jederzeit an, wenn Du nach Hause willst, dann holen wir Dich ab.» Das waren die letzten Worte, die wir gewechselt haben…

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